Bayer 04 und Hopping

Glasgow Rangers v Bayer 04 - ein denkwürdiger Trip

 

 

 
Der Flieger zurück von Porto hatte noch nicht die Parkposition erreicht, da verkündeten diverse Handys die Nachricht: es geht nach Glasgow! Hammer! Geile Stadt, geiles Stadion, geile Atmosphere und das ein oder andere Bier würden uns erwarten.
Nun, knappe 48 Stunden nach dem Spiel, sitze ich auf meiner Couch und weiß, dass es das letzte Spiel für mehrere Wochen war. Rückspiel abgestagt, Bundesliga unterbrochen, alle Spiele in den Amateur- und Jugendligen abgesagt bis Mitte April. Was Anti-Hopp-Banner und Fadenkreuze nicht geschafft haben, hat nun der Coronavirus erledigt. Ein Virus eingeschleppt aus China, der nicht nur Deutschland sondern die ganze Welt lähmt. Hätte mir das jemand vor vier Wochen erzählt, ich hätte ihn/sie für völlig bekloppt erklärt. Nicht nur der Fußball ruht, auch nahezu alle anderen Sportarten liegen brach: Eishockey, Handball, Basketball etc. Darüber hinaus bleiben alle Schulen und Kitas im Land bis Ostern zu, Kneipen, Schwimmbäder, Indoorspielplätze, Kinos und andere Bespaßungseinrichtungen dürfen nicht mehr aufmachen. Alles Maßnahmen um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Ich weiß nicht wie die nächsten Wochen laufen, was ich statt Fußball machen werde, ich arbeite in einer Schule, auch hier habe ich keine wirkliche Ahnung was kommt. Es wird eine Herausforderung für die Weltgesellschaft. Für alle Menschen. Wir müssen nun Zeigen, dass wir auf Konsum und Spaß verzichten können, so wie es viele Millarden Menschen auf der Welt immer tun müssen. Geraten wir nicht in Panik, gehen wir es an.
 
Die Reise war unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Zieles gebucht. Am Mittwoch ab DUS nach Manchester, von da mit dem Zug nach Glasgow und ebenso zurück am Freitag. Die Tage und vor dem Abflug wurden dann zur Qual. In anderen europäischen Ligen fielen die ersten Spiele dem Virus zum Opfer, wurden abgesgt und/oder unter Aussschluss der Öffentlichkeit gestellt. Fand unser Spiel gegen Frankfurt, ein grandioser 4:0 Sieg, noch normal statt, wurde irgendwann Anfang der Woche das Derby Gladbach gegen Köln zu ersten Geisterspiel der Bundesliga-Geschichte erklärt. Der Virus war endgültig angekommen und alle Spiele in Europa standen auf der Kippe. Meldungen wechselten täglich, später sogar stündlich. Gerüchte und seriöse Meldungen hielten sich die Waage. Ist unser Spiel on oder off? Zudem gebe ich zu, dass ich auch nicht immer das beste Gewissen hatte, in diesen Zeiten zu reisen. Aber ich beruhigte mich damit, dass ich Behördenentscheidungen akzeptieren würde, egal ob sie nun gut oder schlecht für mich sind.
 
So flog ich also nach einer sehr kurzen Nacht am Mittwochmorgen gen Manchester. Am Bahnhof in LEV-Mitte hatte ich Archie getroffen. Einen kleinen Bonus gab es von Eurowings: eigentlich saßen wir in Reihe 30, wurden aber in die BIZclass umgesetzte, weil "wir hinten zu schwer waren". Nun hatte ich mehr Beinfreiheit und drei Plätze für mich. So läasst es sich reisen. In Mancchester gingen wir in der Picadilly-Tavern frühstücken und trafen später am Bahnhof Simon M. Nachdem im Supermarkt ein paar Blechdosen eingekauft waren, ging es also zu dritt auf die knapp vierstündige Bahnfahrt nach Glasgow. Zwischen den Bieren fielen mir hin und wieder die Augen zu. Archie ging zu seinem Hotel und Simon M und ich zu unserem. Hier pennte ich ne knappe halbe Stunde bevor wir uns – nach einem Bier im Denholm-Pub – mit Archie am Bahnhof wiedertrafen um nach Paisley zu fahren. Dort gab es ne Lasagne und - oh wunder - noch ein Bier im Weatherspoons.
 
11.03.2020 um 19:45 Uhr
St. Mirren FC v Hearts of Midlothian 1:0
Scottish Premiership
Simple Digital Arena
 
Dieses Spiel war schon mal on und abgesehen von dem Hygienetuch, das man am Eingang bekam und ein paar Einblendungen auf dem Screen wie man sich gegen den Virus halbwegs schützt, merkte man nichts von diesem unsichtbaren Feind. Die parallel laufenden Partien der Champions League in Paris und das angesprochene Derby in Gladbach liefen zwar, aber ohne Fans. Liverpool gegen Atletico Madrid wurde regulär mit Fans ausgetragen. Verstehe wer will.
Unser Kick lief zwar, aber nicht gut. War das ein Gerumpel. Unfassbar. Vorletzter gegen Letzer in Schottland ist halt schon echt fies. Umso erstaunlicher, dass da echt ordentlich Stimmung in der kleinen Bude war. Etwa einhundert Fans der Saints bildeten sowas wie ein aktiven Fanblock, die knapp 1400 Fans der Hearts, verhielten sich eher Britisch: selten laut, dann aber sehr.
Das 1:0 war eine kleine Erlösung, kein null zu null. Sehr schön! Neuer Ground und der letzte neue für wie lange? Das wusste zu diesem Zeitpunkt niemand und auch jetzt ist nix klar.
Nach dem Spiel fuhren wir mit dem Zug zurück nah Glasgow wo Simon M und ich uns noch je zwei Pints in einer Kneipe mit guter Musik gönnten, bevor wir auf das Zimmer gingen. Ich trank noch ein Einschlafbier, bevor ich hundemüde in die Waagerechte ging.
 
Dienstag, der 17.03.2020, 09:16 Uhr. Eigentlich säße ich jetzt in der 6a, hätte Mathe und würde mich um "meinen" Autisten kümmern. Stattdessen sitze ich auf der Couch und schreibe hier weiter. Seit dem Verfassen des ersten Teils dieses Berichtes hat sich wieder viel getan. Das Wetter ist hervorragend was viele Leute gestern in die Cafes und Restaurant sowie auf die Spielplätze gelockt hat. Nach einem scheiß Winter verstehe ich den Drang dazu. Es ist allerdings ganz und gar nicht im Sinne der Sache. In Frankreich tritt heute um 12:00 Uhr eine Ausgangssperre in Kraft und auch hier ist diese Maßnahme wohl nur noch eine Frage von ein, zwei Tagen.
 
12.03.2020 um 20:00 Uhr
Glasgow Rangers v Bayer 04 1:3
Europaleague
Ibrox Park
 
 
Nach einer Dusche am Morgen machte ich uns einen Kaffee und aß dazu einen Ei-Mayo-Kresse Sandwich. In der Stadt gab es einen weiteren Kaffe und einen Keks. Alles zusammen eine ausgewogene Grundlage für den Spieltagssuff. Das erste Bier gab es in der Horse Shoe Bar, den der Bayer-04-UK-Fanclub als Treffpunkt ausgeschrieben hatte. Hier saßen viele LEVs aus dem gesamten UK, Irland und Deutschland dicht bei dicht tranken Bier und waren sich immer noch nicht sicher ob das Spiel stattfinden würde und unter welchen Umständen. Und selbst als alle relevanten Stellen, örtliche Behörden, UEFA und die beiden Vereine, vermeldeten dass gespielt wird, war sich keiner sicher. Der allgemeine Tenor war: ich glaube das erst, wenn der Schiri anpfeift. Aus Amerika war inzwischen die Meldung einetrudelt, dass in der NBA ein Spiel abgesagt wurde, als die Zuschauer bereits in der Halle waren und die Spieler beim Aufwärmen. Alles war also möglich. Simon M und ich gingen nach diversen Pints weiter in die Old College Bar wo bereits Daniel mit Dad, Alexander und Andy saßen. Hier hing eine dieser von mir geliebten Jukeboxen, so dass ich wieder zum DJ mutierte. Plötzlich kam ein betagter Herr in Anzug und Kravatte zu mir und fragte ob ich ihm ein paar Lieder spielen würde. Klar doch. Er wünschte sich "Beautiful people" von den Beatels, welches es aber nich gab. Stattdesssen spielte ich ihm den Nahmensvetter von Marylon Manson. Ob ihm die Version gefiel, bleibt ungeklärt.
In einer weiteren Bar gab es weitere Biere, bevor ich mit Simon M per Taxi zur legendären Louden Tavern fuhr. Dort traf ich Dale und, nach dem ich mir irgendwann meinen Bayerschal umgehängt hatte, viele andere Fans der Rangers. Ich mag es ja mit Fans des Gegners zu trinken. Meistens jedenfalls.
Der Ibrox Park. Irgendwie klingt der Name schon leicht magisch. Eröfnet am 30. Dezember 1899 war er Schauplatz diverser Schlachten inklusive unzähliger Derbys gegen die verhassten Celtics aber auch einiger der größten Katastrophen in der Geschichte des Fußballs. Bei Unglücken in den Jahren 1926, 1961 und 1971 starben über 90 Menschen.
Heute sorgten knapp 50.000 Fans für gute Stimmung auf beiden Seiten. Alle spürten, dass es wohl das letzte Spiel für ein unbestimmbare Dauer sein würde.
Auch auf dem Platz lief es gut und der Bayer gewann souverän mit 3:1. Selten waren die Chancen auf einen Titel so gut und dann kommt da so ein verdammter Virus und lahmt alles. Das ist allerdings Jammern auf hohem Niveau. Unser Bayer wird sich als Fußballverein schon irgendwie halten können. Wie viele Vereine aus allen möglichen Sportbereichen die Krise nicht oder nur unter größten Umständen überleben werden, steht in den Sternen. Es würde aber zu weit führen hier darüber nachzudenken wie das funktionieren könnte, bzw. wer da in der Verantwortung für wen steht. Ich hoffe bloß auf Solidarität der großen mit den kleinen. Und das gilt für alle anderen Lebensbereiche auch.
 
Nach dem Spiel gab es den üblichen Holdback, dann fuhren wir per U-Bahn in die Stadt zurück. Auf dem Weg dahin traf ich noch ein paar Jungs aus Brighton und quatschte mit ihnen.
Der Pub Mallones hatte zu After-Match-Party geladen, so dass sich dort einige Dutzend Fans trafen und bis drei Uhr feierten. Auch hier hatte man den Eindruck, dass allen klar war, dass die nächsten Wochen nicht einfach würden.
Um drei Uhr etwa war ich in der Kiste. Voll und zufrieden.
 
Der Abreise- und Heimfahrtag ist schnell erzählt: per Bahn ging es zurück nach Manchester. Ich vernichtete auf der Fahrt das übrig gebliebende Dosenbier. Am Airport trank ich in einer Bar weiter bis Archie eintraf (Simon M hatte sich in Manchester Picadilly verabschiedet). Am Airport DUS holte uns Archies Bruder ab, so dass ich schnell im Bett war, nicht ohne auf der Rückahrt noch ein letztes Bier zu trinken.
 
Rückblickend und mit dem Wissen von heute habe ich kein Verständnis dafür, dass das Spiel so stattgefunden hat. Dennoch bin ich froh, dass ich die Tour noch gemacht habe. Ein ambivalentes Gefühl. Sicherlich auf vielerlei Weise eine der denkwürdigsten Touren für alle Beteiligten. Ich danke allen die dabei waren.
Und ich appelliere an alle: bleibt nun wenn ihr könnt zu Hause, bleibt vernüftig und haltet durch. Dann sehen wir uns hoffentlich bald alle wieder am Stadioneck, in der Nordkurve und in den Stadien der Welt.
 
 
 
 
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