Die Wochendrebellen lesen aus ihrem Buch
Jason und Papsi lasen im Stadioneck aus ihrem Buch "Wir Wochenendrebellen"
Jason ist zwölf Jahre alt, Fußballfan und ein Wochenendrebell. Aber nicht weil er sich am Wochenende beim Fußball wie ein Chaot benimmt, sondern weil er am Wochenende beim Fußball gegen seine eigenen Regeln rebelliert. Jay-Jay, wie er sich auch gerne nennt, ist Asperger-Autist. Sein Alltag ist geprägt von unzähligen Regeln unterschiedlichster Art. Er liebt strukturierte Abläufe, Verlässlichkeit und Routine. Das Gedränge auf dem Schulflur und die Hektik in den Schulpausen sind ihm zuwider. Umstände die nicht ideal sind um zum Fußball zu fahren. Auf der Anreise können Züge ausfallen, Busse verspätet sein und Straßenbahnen überfüllt. Dennoch besteht Jason beharrlich darauf mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Klimaschutz ist ihm wichtig. Im Stadion ist es eng und manchmal enger. Es wird gedrängt und geschuppst. Und bevor man reinkommt wird man von Ordnern begrapscht. Jason wird nicht gerne angefasst. Es kann vorkommen, dass man mit Bier geduscht wird oder, dass der Rauch von bengalischen Fackeln in den Augen brennt. Das alles hindert ihn aber nicht daran sich immer und immer wieder mit seinem Vater Mirco (Jason nennt ihn Papsi) ins Abenteuer zu stürzen. 2011 wollten Mirco und dessen Vater zum Fußball: Leverkusen gegen Valencia stand auf dem Plan. Jason bekam das spitz und bestand darauf mitzukommen. Mirco war skeptisch ob ein Besuch in einem Fußballstadion das richtige für seinen autistischen Sohn sei. Doch Jason ließ sich nicht abbringen. Der Form halber: Leverkusen gewann das Spiel mit 2:1. Jason war das egal. Aber er war angetan vom ganzen Drumherum. Dem Lärm der Fans, den Fahnen und der Tatsache, dass es Leute gab die für die eine Mannschaft waren und Leute, die für die andere Mannschft waren. Auf der Heimfahrt fragte er seinen Vater, was es damit auf sich hätte. Mirco erklärte es ihm und Jason entschied, dass er "erst alle Vereine gesehen haben musste, bevor er wisse welcher sein Lieblingsverein würde". Ein Satz voller Logik.
Knapp 80 Spiele und sieben Jahre später ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Ob sie jemals fällt ist fraglich. Jasons Ansprüche an seinen Lieblingsverein sind wohl zu hoch. Schon ein Spielerkreis vor dem Anstoß ist ein Ausschlusskriterium, "weil es ekelhaft ist, sich anzufassen". Über die Fahrten und Reisen begannen die Beiden zu bloggen. Später folgte ein Podcast und im August 2017 schließlich das Buch.
Am Freitag, dem 09.03.18 waren Jason und Mirco zu Gast im Stadioneck in Leverkusen um aus ihrem Werk vorzulesen. Gut 50 Zuhörer lauschten zunächst dem "Anstoß" von Jason. Er hat das Kapitel selber geschrieben und erzählt darin, dass sein Autismus zwar eine Behinderung sei, aber auch viele Behilflichkeiten bietet, bspw. dass er komplexe Zusammenhänge schnell versteht und dass er sich von Dingen meist viele Details merken kann. Jason liest aber auch vor, dass "sein Tag dahin ist, wenn er seinen Platz im Bus nicht bekommt" und das er "selbst für einfache Bruchrechnungen nicht mehr zu gebrauchen ist, wenn er einen Tag lang mal nicht seine Hände desinfizieren kann". Wenn ein Mädchen und eine Junge auf dem Schulhof Hände halten, würde er sie am liebsten über resistente Bakterien aufklären. Ein Medikament, das seinen Autismus heilen könnte, würde er nicht nehmen, stellt er klar. Für ihn überwiegen die Behilflichkeiten, weil sie ihn in der Schule und im Studium weiterbringen werden. Ebenso im Beruf.
Nun ist Mirco dran: mit beeindruckenden Worten berichtet er aus der Zeit als Jason etwa vier Jahre alt war und die Erzieher im Kindergarten von seinem "seltsamen" Verhalten berichteten. Er spiele fast nie mit anderen, sondern würde lieber Legosteine nach Farbe und Form sortieren oder Autokennzeichen auf dem Parkplatz vor sich hin murmeln. Mirco und seiner Frau Fatime war zwar so manches Gebaren ihres Sohnes komisch vorgekommen, zum Beispiel, dass Jason penetrant auf das Einhalten eines bestimmten Fußwegs zum Kindergarten bestand oder das er oft völlig unverhätnis mäßig losbrüllte, scheinbar ohne Anlass. Aber Jason war ihr erstes Kind und man nahm alles hin, er war "eben ihr außergewöhnlicher Sohn".
Nach mehreren Gesprächen in einer Beratungsstelle der Caritas, bekamen die Eltern die Vermutung mitgeteilt, dass Jason mit hoher Wahrscheinlichkeit am Asperger-Syndrom "leidet". An dieser Stelle betont Mirco, dass sein Sohn und alle anderen Autisten nicht unter Autismus leiden würden, sondern unter dem rüchsichtslosen Umgang ihres Umfeldes mit ihnen. Im Stadioneck ist es mucksmäuschen Still, als Mirco die Zeit nach diesem Gespräch beschreibt. Bis die Diagnose von einer autorisierten Klinik bestätigt wurde dauerte es einige Monate. Monate in denen Mirco und Fatime im Internet und anderen Quellen rechachierten und immer klarer wurde, dass es der "offiziellen Diagnose" eigentlich nicht bedurfte. Die beiden wussten zu Beginn nicht viel über Autismus und so war die Erkenntnis, dass der Sohnemann Autist ist, zunächst natürlich ein Schock. Die Experten malten Jasons zukunft eher grau als bunt. Über den "Grad der Behinderung" und den Verlauf konnte oder wollte man nichts sagen.
Mirco schwärmt nun von seiner Frau. Er erzählt von ihrer Kraft, Power und Beharrlichkeit mit der sie Jason erzog. Viel würde sich nicht ändern. Sie würden Jason einfach weiterhin mit Liebe vollpumpen, so dass er alle Herausforderungen des Lebens meistern wird.
Jeder Mensch mit halbwegs Empathie kann bei Mircos Schilderungen nachempfinden, wie Jasons Eltern sich in jener Zeit gefühlt haben müssen: zunächst geschockt, dann aber motivert alles für den Sohn zu tun. Manch ein Zuhörer schien einen kleinen Kloß im Hals zu haben. Mirco aber betont, dass Mitleid nicht nötig sei, denn sie seien eine sehr glückliche Familie, zu der übrigens auch Lani, Jasons kleine Schwester, gehört.
Nun wird eine Pause gemacht und bei einem Bier oder einer Cola lassen die Zuschauer das Gehörte sacken.
Mirco hat seinen Lieblingsverein bereits gefunden. Es ist die Fortuna aus Düsseldorf. Als er mit seinem Sohn 2012 zum Spiel Hoffenheim v Düsseldorf fuhr, wie immer mit der Bahn, war er voller Hoffnung, dass die Suche dort enden würde, weil die Fortuna sich im Abstiegskampf nach oben kämpfen und gleichzeitig Hoffenheim weiter Richtung Liga zwei schießen würde. Doch schon der Name des Kapitels "Ohne Sieg ist alles nichts" lässt vermuten, dass daraus nichts wurde. Hoffenheim machte früh das 1:0, Düsseldorf spielte schlecht und lustlos, so dass spät das 2:0 fiel. Jason hatte sich bereits nach dem 1:0 vom Spielfeld abgewendet und es bevorzugt die Treppe anzustarren. Als die Niederlage immer gewisser wurde, kamen Jason die Tränen. Das rührte Mirco und erfüllte ihn mit Stolz. Seinem Sohn kamen die Tränen weil "seine" Fortuna verlor. "Du brauchst nicht zu weinen, die schaffen das noch". - "Ich weine nicht" – "Im Ernst, du musst nicht weinen, es sind noch ein paar Spiele". - "Papsi, ich weine nicht. Der bekloppte Qualm brennt mir in den Augen. Warum sollte ich weinen?". Im Nachbarblock hatten Fortuna-Fans Bengalos gezündet.
Wie gewonnen, so zerronnen. Die Fortuna würde nicht Jasons Lieblingsverein. Wie zur Bestätigung zog Jason seinen Fortunaschal aus, reicht ihn Papsi und bestand darauf zu gehen.
Nun kann jeder Fußballfan verstehen wie Mirco sich gefühlt haben muss...
Bei beiden Kapiteln die Mirco vorliest, wird er immer wieder mal von Jason unterbrochen, ergänzt oder korrigiert. Dabei entstehen lustige und unterhaltsame Dialoge. Jasons direkte Art Dinge anzusprechen die ihm gefallen, die ihn stören, oder die er für falsch hält, imponiert den Zuschauern. Man merkt, dass dort ein Vater und ein Sohn sitzen, die es geschafft haben durch ihre vielen gemeinsamen Touren und Projekte eine einzigartige Einheit zu werden. Jason hat vor ein paar Jahren seinem Vater das Versprechen abgenommen, dass dieser die Welt ein bisschen besser machen würde, bevor er irgendwann "mal gehen muss". Mit diesem Buch und auch mit ihrem Blog und ihrem Podcast haben die Beiden dies schon ein Stückweit geschafft. Denn viele Leser und Zuhörer, werden nun anders auf das Thema Autismus blicken. Sie werden merken, dass mit Autismus einiges möglich ist, wenn man ihn nicht als Behinderung der Betroffenen betrachtet, sondern als einen wesentlichen Teil ihrer Persönlichkeit.
Eintritt wurde nicht verlangt. Es wurde aber um Spenden für die Neven-Subotic Stiftung gebeten. Diese baut Brunnen in Afrika um die dortige Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Zum Thema (Trink)wasser hatte Jason zuvor einen selbstgeschriebenen Artikel vorgelsen. Es kamen mehrere hundert Euro zusammen. Vielen Dank dafür.